Der Thurgau verfügt nach der grossen Gemeindereorganisation zwischen 1990 und 2000 noch über 80 Politische Gemeinden – in 57 existiert eine Bürgergemeinde. Die Interessen der Bürgergemeinden werden vom 1994 gegründeten Verband Thurgauer Bürgergemeinden vertreten.
Kontakt
Sandro Forster, Präsident
Metzgergasse 6, Postfach 122
9320 Arbon
Telefon 078 721 60 01
Die Thurgauer Bürgergemeinden bilden gemäss Gemeindegesetz vom 5. Mai 1999 öffentlich-rechtliche Körperschaften auf dem Gebiet einer Politischen Gemeinde. Den Bürgergemeinden gehören die in den Politischen Gemeinde wohnhaften Gemeindebürger und Gemeindebürgerinnen an, die das Anteilsrecht am Bürgergut besitzen. Politische Funktionen üben die Bürgergemeinden seit dem Gemeindegesetz von 1944 allerdings nicht mehr aus. Zudem wurde die Kompetenz zur Verleihung des Bürgergemeinden 1946 von den Bürgergemeinden auf die Ortsgemeinden übertragen.
Einbürgerungen waren früher wegen dem Armenwesen ein finanzielles Risiko
Die aktuelle Situation der Bürgergemeinden ist das Ergebnis eines über 200 Jahre dauernden Reduktions- und Entflechtungsprozesses: In den alten Dorfgemeinden bestimmten die im Ort verbürgerten Familien die Dorfpolitik. Die gemeinschaftlich genutzten Äcker, Allmenden, Wälder, Gebäude und Strassen der Gemeinde gehörten der Bürgerschaft.
Die Dorfgemeinde war damals unter anderem auch für die Armenfürsorge der Ortsbürger verantwortlich. Dazu bestanden Armenhäuser als soziale Einrichtungen. Aus Gründen der Verpflichtung den armengenössigen Ortsbürgern gegenüber versteht es sich, dass jede zusätzliche Einbürgerung auch ein Risiko für die Ortsgemeinde darstellte.
1798 wurde die Munizipalgemeinde eingeführt
Mit der zunehmenden Mobilität der Bevölkerung veränderte sich aber ab dem 18. Jahrhundert die Zusammensetzung der Einwohnerschaft. Der starke Zuzug von Auswärtigen führte dazu, dass ein wachsender Anteil der Wohnbevölkerung zwar Dienste leisten und Abgaben entrichten musste, aber gleichwohl keinen Anteil hatte an den politischen Entscheidungen. Als Reaktion auf diese Verhältnisse wurde 1798 mit der Munizipalgemeinde ein neuer Gemeindetyp neben der Dorf- bzw. Bürgergemeinde eingeführt, bei dem die politische Mitsprache nicht mehr an das Ortsbürgerrecht, sondern an das neue helvetische Staatsbürgerrecht gebunden war.
Die Munizipalgemeinden übernahmen einen Teil der öffentlichen Aufgaben wie Nachtwache, Fremdenkontrolle, Truppenunterbringung etc., während die Regelung der dörflichen Alltagsgeschäfte in den Händen der Dorfgemeinden verblieben, darunter so zentrale Aufgaben wie das Rechnungswesen, das Bauwesen und die Aufnahme in das Bürgerrecht. Im Besitz der Dorfgemeinden (genauer; im Besitz der ortsansässigen Bürgerschaft) verblieben auch der gesamte Grund- und Waldbesitz sowie die Strassen und öffentliche Liegenschaften.
Ausgaben zwischen Gemeindewesen wurden nach 1849 klar getrennt
Im Lauf des 19. Jahrhunderts setzte sich das Einwohnerprinzip immer mehr durch. Die Kantonsverfassung von 1849 brachte eine klare Trennung zwischen den Kompetenzen der Orts(bürger)gemeinden und Orts(einwohner)gemeinden. Die Ortsbürgergemeinden behielten ihren Besitz und erteilten weiterhin das Bürgerrecht und die Niederlassungsbewilligungen, die Ortseinwohnergemeinden übernahmen alle lokalen Aufgaben, und die nicht im Ort verbürgerten Einwohner erhielten zumindest in der Ortseinwohnerversammlung ein politisches Mitspracherecht.
Die Ortseinwohnergemeinden hatten nun zwar alle lokalen Aufgaben zu erfüllen, der Besitz der Gemeinde und damit die Einkünfte aus dem Boden und dem Wald blieb aber in den Händen der Ortsbürger. Nach der Verfassung von 1869 wurde daher eine Güterausscheidung eingeführt, aufgrund derer das rein bürgerlich genutzte Gut den Ortsgemeinden zugeteilt werden sollte. Die Bürgergemeinden traten daraufhin ab 1871 vor allem die Strassen und Liegenschaften ab, behielten aber gewisse Liegenschaften und den Wald in ihrem Besitz. Als öffentlich-rechtliche Korporation behielten sie auch mit dem Gemeindeorganisationsgesetz von 1874 weiterhin die Kompetenz zur Erteilung des Bürgerrechts.
Viele Bürgergemeinden sind in den letzten Jahrzehnten verschwunden
Die Verleihung des Bürgerrechts als letzte "politische" Funktion verloren die Bürgergemeinden mit dem Gemeindeorganisationsgesetz von 1944 ebenfalls an die Ortsgemeinden. Ihre Hauptfunktion besteht seither in der Verwaltung des Bürgerguts. Wer heute nach dem Erwerb des Gemeindebürgerrechts der Politischen Gemeinde in die Bürgergemeinde aufgenommen werden will, muss sich dort einkaufen und damit das sogenannte Anteilsrecht erwerben.
Zwischen 1946 und 1992 wurden zahlreiche kleinere Bürgergemeinden, die kein oder wenig Vermögen besassen, aufgelöst, so beispielsweise Heiligkreuz, Götighofen, Buchackern, Berlingen und Hessenreuti. 1943 existierten noch 120 Bürgergemeinden.
Im Jahr 2000 wurde im Kanton Thurgau der Gemeindedualismus von Orts- und Munizipalgemeinde abgeschafft. Ortsgemeinden wurden zu Politischen Gemeinden zusammengefasst, denen auch die Erteilung des Bürgerrechts zusteht. Seit 2000 haben zahlreiche Bürgergemeinden innerhalb ihrer Politischen Gemeinde fusioniert – so beispielsweise in Arbon, Diessenhofen, Fischingen oder Gachnang.
Gemeindegesetz fordert, dass es pro Gemeinde nur noch eine Bürgergemeinde gibt
Im Gemeindegesetz des Kantons Thurgau von 1999 sind die Bürgergemeinden neben den Politischen Gemeinden und den Schulgemeinden aufgeführt. Das Gesetz verlangt, dass in jeder Politischen Gemeinde nur eine Bürgergemeinde existiert – dort wo es mehrere Bürgergemeinden gab, mussten sie sich zusammenschliessen. Wer Bürger oder Bürgerin einer Politischen Gemeinde ist und in dieser wohnt, kann bei der entsprechenden Bürgergemeinde das Anteilsrecht erwerben.
Artikel 57 Absatz 4: Gemeinden
Die Bürgergemeinden verwalten das Bürgergut.